P. Dinzelbacher: Unglaube im „Zeitalter des Glaubens“

Cover
Titel
Unglaube im „Zeitalter des Glaubens“. Atheismus und Skeptizismus im Mittelalter


Autor(en)
Dinzelbacher, Peter
Erschienen
Badenweiler 2009: Wissenschaftlicher Verlag Dr. Michael P. Bachmann
Anzahl Seiten
166 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

«…die Existenz eines über allem und allen stehenden transzendentalen Wesens auch ablehnen zu können, erscheint uns gewöhnlich als Errungenschaft der Aufklärung» (IX), so der als Verfasser zahlreicher kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Abhandlungen auch ausserhalb eines engeren fachwissenschaftlichen Kreises bekannt gewordene Autor in seinem Vorwort. In der Tat scheint das Mittelalter auf den ersten Blick keine besonders günstige Epoche gewesen zu sein, um die im Zitat skizzierte Position zu vertreten; ja es stellt sich gar die Frage, inwieweit eine atheistische Haltung im Mittelalter überhaupt denkbar war. Eine Antwort darauf versucht der vorliegende schmale Band zu geben, dem ob der Breite des Problemfeldes nicht mehr als ein einführender Charakter zukommen kann. Erste Schwierigkeiten ergeben sich bereits bei der Definition des Untersuchungsgegenstandes, denn was im Mittelalter «infidelitas», um uns auf einen Vertreter einer ganzen semantischen Gruppe zu beschränken, oder – Deutsch – «Unglaube» geheissen wurde, war keineswegs Atheismus in unserem modernen Sinn. Diesen gilt es vom «Unglauben» der «Heiden» ebenso zu unterscheiden wie von demjenigen der unterschiedlichsten heterodoxen Individuen, Gruppen und Bewegungen, deren Vertreter sicherlich keine «Atheisten » waren. Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Quellen oft polemischer Natur sind und die derart des «Unglaubens» Bezichtigten nur schwer erfasst werden können – vorausgesetzt, dass es sich bei den Angriffen nicht sowieso um rhetorische Scheingefechte handelte.

Da «echter» Atheismus ungleich schwieriger festzuhalten ist als Glaubenszweifel jeglicher Art und sicherlich auch viel seltener vorkam, wurde die Skepsis bestimmten Glaubenswahrheiten und Dogmen gegenüber in die Betrachtung mit einbezogen. Das Ergebnis ist ein farbiges Aperçu von Beispielen unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Provenienz, die jeweilen kurz beleuchtet werden. Das vom Autor gewählte Ordnungsprinzip richtet sich nach den Verfechtern der entsprechenden Gedanken, seien dies Intellektuelle oder Laien, wobei beide Kategorien thematisch (Intellektuelle) oder sozio-professionell (Laien) noch feiner unterteilt werden. Das Ergebnis lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass «echter» Atheismus im heutigen Sinn kaum verbreitet gewesen sein dürfte, wohl aber ein breites Spektrum an religiösen Zweifeln festzustellen ist, denen sich gerade das Christentum mit seiner komplexen Trinitäts- und Transsubstantiationslehre als Projektionsfläche anbot: «Wenn auch die Existenz einer Gottheit nur von wenigen expressis verbis geleugnet wurde, so doch öfter die einer der göttlichen Personen, in die nach katholischem [!] Glauben der eine Gott aufgespalten sei» (45).

Die vorgestellte Schrift eignet sich als Einstiegslektüre bzw. als Lesebuch, gerade auch für ein nicht-fachwissenschaftliches Publikum, das darin erfährt, dass «das» Mittelalter alles andere als ein monolithischer Block war, sondern eine Zeit, in der sich Menschen auf allen Stufen der sozialen Leiter die unterschiedlichsten Fragen stellten.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Peter Dinzelbacher, Unglaube im «Zeitalter des Glaubens». Atheismus und Skeptizismus im Mittelalter, Badenweiler, Wissenschaftlicher Verlag Bachmann, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 472-473.